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Jahreszeitentischgestaltung
Jahreszeitentische neu gedacht
Von Almuth Strehlow, März 2013 erschienen in der Erziehungskunst
Brauchen wir durchgestylte Elfen, Trolle und Zwerge, um wieder Zugang zur Natur und ihren elementaren Kräften zu bekommen? Almuth Strehlow, Dozentin am Rudolf-Steiner-Institut in Kassel, meint nein. Sie plädiert für einen neuen Umgang mit dem Jahreszeitentisch.
In alten Kulturen waren Zwerge, Elfen, Sylphen, Salamander und Feuergeister noch selbstverständlich. Dargestellt wurden sie nicht, denn man wollte sie nicht bannen. Den Zugang zu dieser Fabelwelt haben wir verloren, umso größer scheint die Sehnsucht nach ihr. Das äußert sich dann oft darin, dass wir sie in allerlei Püppchen zu fassen versuchen und meinen, damit dem Kind die Naturwesen nahezubringen. Doch das kleine Kind lebt noch in einer sich permanent wandelnden, lebendigen Atmosphäre – vielfach kann es wahrnehmen, was uns Erwachsenen verborgen bleibt. Wenn wir nun für den Jahreszeitentisch vielerlei hübsche Püppchen herstellen, entsteht im Kind eine Art Bruch. Es will dem Erwachsenen alles glauben, es ist gut und wahr, was der Erwachsene tut, aber vielleicht erinnert es sich gerade noch an den Zwerg, den es vorhin im Garten gesehen hat und mit dem netten Püppchen hat dieser wahrscheinlich nicht viel gemein. Das Kind beginnt an seiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln.
Was es braucht, ist nicht die korrekt ausgeführte Bastelanleitung, sondern den innerlichen Umgang mit den Naturwesen. Vielleicht entdecke ich im entlaubten Wald ein Holzstück, das mit zwei, drei Schnitzern das Bild eines Erdgeistes weckt, vielleicht gelingt es mir, im aufsteigenden Morgennebel die schwebenden Sylphen tanzen zu sehen und es formt sich in mir ein Lied für die Kinder, vielleicht bannt ein Feuer meinen Blick, als würde mir jemand in die Augen schauen und eine Geschichte fällt mir ein … Ich brauche dann keine Bastelanleitung mehr, sondern lese im großen Buch der Natur. Jedes Rezept erschwert das Experiment, jede Woche neu die Natur in ihren Kräften zu erleben.
Ein Gang durchs Jahr
Wie kann ich aber nun trotzdem einen Jahreszeitentisch gestalten, wie finde ich Ideen und Anregungen, wenn ich nicht die Gabe habe, Naturgeister wahrzunehmen?
Ein Zugang kann die Farbe sein, die für die Jahreszeit etwas verbildlicht oder einige Dinge aus dem Schoß der Natur, vielleicht auch einzelne Symbole, wenn sie von mir verstanden sind. Die folgenden Vorschläge sollen keineswegs neue Rezepte sein, lediglich Anregungen für die Gestaltung.
Das neue Jahr beginnt mit der Dreikönigszeit. Das Blau der Hirtenkrippe kann vielleicht gegen Weiß als Bild der inneren Klarheit der königlichen Seele, die ganz dem Denken, der Erkenntnis hingegeben ist, und das goldähnliche Gelb eingetauscht werden. Darauf können die Gaben der Könige liegen – eine goldene Kugel, ein silbernes Schälchen Weihrauch und ein kupfernes Kistchen mit Myrrhe. Allerdings müssen wir wissen, was diese Symbole uns heute bedeuten können, um nicht nur hohle Form zu sein.
Mitte, Ende Februar verändert sich das Licht und die Winterlinge und Schneeglöckchen kommen heraus. So taucht das Braun als Tuchfarbe vielleicht auf, um die Erde als Element darzustellen. Ein Wurzelstück, in dem man mit Phantasie etwas entdecken kann, liegt neben der Vase mit den ersten zarten Frühlingskündern – den Schneeglöckchen. Die braune Erdunterlage bleibt nun sinnvollerweise eine Zeit lang erhalten – draußen beginnen die Bäche zu strömen, das helle Blau fließt durch das Braun, es plätschert und gurgelt, das Wasser lässt das Leben hervortreten. Die Haselkätzchen blühen und das erste Grün beginnt sich zu zeigen – ein hellgrünes Tuch kommt allmählich von hinten hervor – Stück um Stück das Braun überziehend. Das vom Spaziergang mitgebrachte leere Schneckenhaus liegt auf dem Grün, die Märzenbecher läuten.
Die Bedeutung der Karzeit ist für das kleine Kind eher das allmähliche Erwachen der Natur. Die Schale mit Ostergras beginnt zu grünen und am Ostersonntag steht eine neue Zeit an, die viel Veränderung mit sich bringen kann. Ich muss entscheiden, ob ich weiter mit der Natur im Jahreslauf gehe, oder ob ich die Symbole und Bilder der christlichen Festeszeit einbeziehe – wobei ich diese Bilder ebenfalls innerlich durchdringen muss.
An Ostern setze ich die Farben Rot und Grün ein, die Tod und Wiedergeburt zusammenschließen. Ich verwende das Ei als Bild des ewigen Lebens – täglich ab Ostern ein rotes Ei an einen Strauch – bis vierzig Tage um sind und Himmelfahrt gefeiert wird. Vielleicht geht man aber auch stärker mit dem Gang der Natur: das Frühlingsgrün wird kräftiger, Käfer erwachen, Tulpen stehen stramm, ein Vogelnest wartet.
Im Sommer steht die Lichtqualität im Vordergrund – dazwischen liegt noch Pfingsten, wenn man die christlichen Feste gestalten möchte. Dann kann alles festliches Weiß sein, in Seide vielleicht, mit weißen Kerzen – für jedes Familienmitglied eine Kerze – als Bild des reinen Geistes.
Im Juni, wenn das helle Gelb wie die Sonne leuchtet, wollen die Schmetterlinge kommen – die Raupen futtern sich rund, um in die Verwandlung zu gehen. Vielleicht steht ein üppiger Strauß kieselhaltiger Brennesseln auf dem Tisch, denn dort verpuppen sich viele dieser Luftwesen. Warm und wärmer wird es im Jahr, es kommt Johanni – der Geburtstag von Johannes dem Täufer. Auch hier ist erst einmal die innere Auseinandersetzung mit dem Bild notwendig: Was bedeutet es für uns heute – was für mich, welches Bild liegt darin für die Kinder?
Dann der Hochsommer – die vielen strahlenden Gelbtöne, Bienenwaben und ein Töpfchen Honig helfen uns, an die fleißigen Sonnenhelferinnen zu denken, ohne die der nächste Schritt in der Natur, das Fruchten – nicht möglich wäre. Die Wärme des Sommers müssen wir ganz in uns aufnehmen, die Wärme bindet unser Ich an unseren Leib, sie ist Voraussetzung für die Geburt in der Wintertiefe.
Im August beginnt deutlich die Reifung, das Gelb verfärbt sich zum warmen Orange, die ersten Gerstenähren zieren den Tisch. Der Jahreszeitentisch verwandelt sich mehr und mehr zum Erntetisch, zum warmen Orange kommen Rot- und Brauntöne, das Blau hat sich mit dem Sommer zurückgezogen, das Grün wird immer dunkler. Nun kommen die Ähren der anderen Getreidearten dazu, die Körner ruhen vielleicht in einer kleinen Holzschale – eine große Schale heimischen Obstes oder das Gemüse aus dem Garten prangen ebenfalls auf dem Gabentisch.
Den Erntesegen löst das Michaelifest ab. Ein kräftiges Rot als Sinnbild für den Mut, unsere innere Wärme und das komplementäre Grün können nun das Gleichgewicht darstellen. Oder es wird durch die Waage versinnbildlicht. Möglicherweise liegt ein Stück Meteoreisen auf dem Tisch.
Herbst: Die ersten Kastanien sind zu finden, goldgelb oder ocker-orange werden die Blätter, die blanke Erde wird wieder sichtbar, vielleicht sogar wieder ein kleines geschnitztes Holz wie im Februar, denn die Erdgeister werden wieder nach innen ziehen. Auch ein violetter Amethyst kann uns auf die Wesen hinweisen.
Schon steht die Martinszeit vor der Tür: Das Violett zieht über das Braun, die Farbe bildet die Andacht, das Hüten des inneren Lichtes mit ab, ebenso die schlichte Laterne, in deren Inneren eine Kerze leuchtet. Ein Stück Holz vom Spaziergang ist Bild des Sterbens, das mehr und mehr zu erleben ist, die Trennung von Leben und Materie.
Und dann endlich beginnt die Adventszeit, Ankunftszeit: Das klare, warme Blau, das viele alte Meister benutzt haben, um den Marienmantel darzustellen, bedeckt den Tisch. Oft erlebt man, dass der Jahreszeitentisch behutsam in kleinen Schritten wächst, so kann in der ersten Woche das Mineralreich auftauchen, in der zweiten Woche das Pflanzenreich, dann das Tierreich … Oder es wandert die Maria jeden Tag, begleitet von einem Engel, ein Stückchen weiter. Möchte ich völlig auf eine figürliche Darstellung verzichten, liegt vielleicht an jedem Tag ein neuer Stern, der vorher am Hintergrund prangte, auf der Erde (Tuch). Oder auf dem blauen Tuch steht ein großer Tannenzweig und täglich hängt ein neuer kleiner Strohstern daran. Oder es wandert vielleicht nur ein herrlicher Stern jeden Tag ein Stück weiter dem angedeuteten Stall zu. Wie es mir gelingt, die Schöpfungsgeschichte erlebbar zu machen, hängt mit meiner inneren Auseinandersetzung zusammen, auch hier empfinde ich es als sehr wichtig, nicht üppig aus Traditionen zu schöpfen, ohne sie zu hinterfragen. Unendlich sind die Möglichkeiten, für sich, die eigenen oder die anvertrauten Kinder das Stimmige im Jahreslauf zu finden. Wiederholung tut dem Kind gut – aber immer wieder durch mein Bemühen Belebtes hat auch eine große Wirkung.
Keine Waldorfdeko kein Altar
Die Gestaltung des Jahreszeitentisches darf nicht starr oder dogmatisch sein – es geht um die Versinnbildlichung von Prozessen, die sich in stetem Fluss befinden. Der Jahreszeitentisch ist keine waldorfpädagogische Dekoration, die altarähnliche Eigenschaften erhält – die Kinder dürfen mitgestalten. Er ist Bild meiner inneren Beschäftigung mit den Jahreszeiten, ihren Prozessen und den darin liegenden Festen. Kopiere ich lediglich Bildvorlagen anderer, wird es »Waldorfkitsch«.